Die Evangelische Martin-Luther-Kirchengemeinde Mönchengladbach – Rheindahlen und ihre geschichtlichen Wurzeln im Dahlen des 16. Jahrhunderts. von Hans-Ulrich Rosocha, Pfarrer i. R.
Erst seit dem 01.01.1970 gibt es in Rheindahlen eine selbstständige Evangelische Kirchengemeinde. Die wenigsten aber wissen, dass diese junge Gemeinde, die am 6.November 1983 – zum 500. Geburtstag Martin Luthers – ihr Gemeindezentrum „Martin-Luther-Kirchengemeinde“ einweihen konnte und die sich seit dem 1.1.1992 mit landeskirchlicher Genehmigung offiziell „Evangelische Martin-Luther-Kirchengemeinde Mönchengladbach – Rheindahlen“ nennen darf, ihre geschichtlichen Wurzeln im Dahlen des 16.Jahrhunderts hat. Wenn wir die „Geschichte der Stadt und des Amtes Dahlen“, die der damalige Vikar Heinrich Gröteken 1925 in 2.Auflage herausgab, aufschlagen, so finden wir darin den Satz: „Dennoch muss in Dahlen zur Zeit eine kleine reformierte Gemeinde bestanden haben, welche bis 1591 mit Gladbach vereinigt war, dann aber bis 1617 ihre eigenen Prediger hatte und darauf wieder mit Gladbach in Verbindung stand. Im Jahre 1645 war ein Johann von Dalen reformierter Prediger in Cöln“. Trotz dieser Feststellung, die auf evangelisches Gemeindeleben im Dalen des ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts hinweist, meint Gröteken, dass „die vorhandenen Urkunden nicht die geringste Andeutung über eine Verbreitung des Protestantismus in Dalen“ geben, sondern dass im Gegenteil „bis heut zu Tage die Dahlener Gemeinde (in Stadt und Kirchspiel) eine rein katholische Gemeinde geblieben“ sei. Diese Darstellung entspricht jedoch nicht der geschichtlichen Wirklichkeit, denn – wie wir dem Aufsatz des früheren Gladbacher Stadtarchivars Heinrich Müllers „Die untergegangene reformierte Gemeinde Dahlen“, erschienen im Sammelband „M.-Gladbach – Aus Geschichte und Kultur einer Rheinischen Stadt“ Band 1 hrsg. zu Mönchengladbach 1955 von Rudolf Brandts (dort S.301-327) entnehmen – war mit dem ganzen Herzogtum Jülich auch die im Amt Brüggen gelegene alte Stadt Dahlen, die erst seit etwa hundert Jahren den Namen Rheindahlen führt und heute einen Teil der Stadt Mönchengladbach bildet, im 16. Jahrhundert von den reformierten Ideen Martin Luthers, des großen deutschen Reformators, der von 1483 bis 1546 lebte, erfasst worden.
So hat sich auch in Dahlen eine evangelische oder wie es damals hieß „nach Gottes Wort reformierte“ Gemeinde gebildet, die nachweislich urkundlich erstmalig mit Datum vom 24.Oktober 1574 genannt wird, obwohl sie schon längere Zeit vorher – allerdings urkundlich nicht nachweisbar, bestanden hat (vgl. Ludwig Ditthard, Rheindahlen – Geschichte einer alten und jungen evangelischen Gemeinde, hrsg. Mönchengladbach – Rheindahlen 1980 S.15).
Im Protokoll des Gladbacher Quartierskonsistoriums – das „Gladbacher Quartier“ war die Organisation der heimlichen reformierten, also evangelischen Gemeinde jener Gegend, zu dem die Orte Bracht, Breyell, Brüggen, Dülken, Kaldenkirchen, Kempen, Gladbach, Oedt, Dahlen, Süchteln, Tegelen, Waldniel und Viersen gehörten – vom 24.10.1574 lesen wir unter Punkt 5: „…was hinfurt von den zweien quartir Niell (Waldniel) und Dalen (eingeht), soll allen Quarttieren zur verliechtering (Erleichterung) dienen“. Es muss also, wie aus diesem Protokoll eindeutig hervorgeht, zu diesem Zeitpunkt in Dahlen eine selbstständige reformierte, d.h. evangelische Gemeinde gegeben haben, die sogar zur Unterstützung anderer Gemeinden im Gladbacher Quartier finanzielle Beiträge leisten konnte; der Schluss legt sich nahe, dass auch wohlhabende Dahlener Bürger sich zur reformierten Gemeinde Dahlen zählten. Die Dahlener Evangelische Gemeinde entsandte auch Abgeordnete zu den Synoden, die wir unter anderem aus einer Unterschrift unter dem Abschlussprotokoll der Synode von Aachen vom 08.10.1586 entnehmen können; sie lautet „Heinrich Gellenbla van Dallen“ und meint ein Mitglied des Presbyteriums der evangelischen Gemeinde Dahlen, die jenen Presbyter Heinrich Gellenbla als ihren Abgeordneten zu Synode nach Aachen sandte. Der Einfluss der evangelischen Bürger Dahlens muss zu jener Zeit nicht ganz unerheblich gewesen sein, denn in einem Visitationsprotokoll vom 08.10.1589 wird uns jener merkwürdige Fall berichtet, nachdem sich der Dahlener katholische Pastor Jakob Lösen darüber beklagt, dass Bürgermeister, Schöffen und Geschworene ohne sein Wissen Kirchen- und Brudermeister an- absetzten und die Rechnung ohne ihn halten; ferner werde ihm das Öl für die Lampe vor dem Sakrament, d.h. das ewige Licht und der Messwein entzogen, „So dann einer der burgermeister, Abel Kessels, der ein sacramentarius, dem kirchmeister Johannen Kremers austrucklich verbotten, solchen Wein nit zu bestellen, welchen dann er pastor, itzo selber bestelle“. Abel Kessels, der Kalviner (sacramentarius), also ein evangelischer Christ, der sich nach der Theologie des Schweizer Reformators Johannes Calvin (1509-1564), welcher in seinem Hauptwerk „Institutio Christianae Religionis“ (d.h. Unterricht in der christlichen Religion) die Theologie Martin Luthers ausführlich biblisch dogmatisch weitergeführt hat, richtete, war 1589 nicht nur Mitglied des Rates und Bürgermeister in Dahlen, sondern hatte auch soviel Einfluss, dass sich ihm gegenüber der Pastor in dem katholischen offiziellen Kirchenwesen Dahlens nicht durchzusetzen vermochte. Diese auffällige Tatsache dürfte ihre Erklärung darin finden, dass die Bedeutung der damals in Dahlen ansässigen Evangelischen (= Reformierten) so groß gewesen ist, dass sie im Rat angemessen vertreten waren und sogar einen der ihren in das Amt des Bürgermeisters bringen konnten.
Heute gehören solche interkonfessionellen Querelen, wie sie uns aus dem Jahr 1589 geschildert wurden, jedoch der Vergangenheit an, denn die katholische Pfarrgemeinde St. Helena Rheindahlen und die Evangelische Martin-Luther-Kirchengemeinde Mönchengladbach – Rheindahlen sind in einem gutem ökumenischen Miteinander, das in regelmäßig sattfindenden gemeinsamen Gottesdiensten, ökumenischen Sitzungen von Pfarrgemeinderat und Presbyterium und in gegenseitiger Achtung vor den unterschiedlichen Traditionen der anderen Konfession praktiziert wird, vertaruensvoll verbunden. Kehren wir aber zurück in das Dahlen des 16.Jahrhunderts: nicht genug, dass Dahlen 1589 einen evangelischen Bürgermeister hatte, auch der Gerichtsschreiber Stephan Schriver, der als solcher am 21.02.1582 nachweisbar ist, gehörte der reformierten, d.h. evangelischen Kirchengemeinde Dahlens an. Er unterzeichnete im September 1619 als Abgeordneter der evangelischen Gemeinde Dahlen das Protokoll der Generalsynode zu Goch. Sein Sohn Peter war bis 1632 evangelischer Prediger der Marienkirche zu Duisburg. Übrigens heiratete Johann Banck, der aus einem sehr alten Dahlener Geschlecht stammt, schon um 1568/69 eine Schwester des evangelischen Wickrathberger Pastors Dietherich Quadt von Kinkelbach. Später finden wir Johann Banck als Vikar in Schwanenberg und als Amtsnachfolger seines verstorbenen Schwagers als evangelischen Pastor in Wickrathberg. Aus der Evangelischen Kirchengemeinde Dahlen sind im 16.Jahrundert also auch evangelische Pastoren hervorgegangen! Schließlich kennen wir noch zwei evangelische Prediger die Mitte der 80er bzw. Anfang der 90er Jahre des Reformationsjahrhunderts in Dahlen geboren wurden: der eine ist Wilhelm Schreiber, der 1636 als Pastor der Evangelischen Gemeinde von Schwanenberg stirbt. Er war um 1585 in Dahlen geboren.
Der andere aus Dahlen stammende Prediger war Petrus Gelenius, der um 1590/91 geboren sein muss und als evangelischer Prediger in Gemünd/Eifel, Monschau, Düren, Kirchherten, Frechen, Flamersheim und Stolberg diente. Möglicherweise entstammte er der Dahlener evangelischen Familie Goelen (= Geelen), die sich später hier nachweisen lässt.