Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde in Rheindahlen

Bis in das Jahr 1621 existierte die Evangelische (= Reformierte) Gemeinde in Dahlen noch frei. Aber als die Spanier in diesem für die evangelische Gemeinde schicksalsschweren Jahr in Dahlen einzogen, war dies der Anfang vom Ende. Sie störten und verhinderten die Gottesdienste der Gemeinde und zerstörten sogar 1622 die kleine evangelische Kirche, das „Predigthaus“ wie es damals hieß. Es wohl am Mühlentor auf dem „Wendelengut“, einem Lehen der evangelischen Herrn von Wickrath gestanden; Lehensträger war 1560 Peter Wendelen, der der reformierten (= evangelischen) Gemeinde angehörte. (Diese interessante Information haben wir dem Buch von Toni Mennen und Michael Walter, Die mittelalterliche Burg Gripekoven und die Herrschaft Dahlen Teil 1 1990 S.76 entnommen).

Zwar wurde der evangelische Gottesdienst nach der Zerstörung der kleinen Kirche am Mühlentor danach noch in Privathäusern fortgesetzt, aber der Druck auf die evangelische Gemeinde, wurde doch so stark, das im Jahr 1623 nur noch eine einzige evangelische Predigt in Dahlen gehalten werden konnte und zwar von dem aus Dahlen stammenden evangelischen Pastor Petrus Gelenius, der gerade auch aus seinem Wirkungsbereich vertrieben wurde war. Es war damals eine schwere Zeit für die evangelischen Gemeinden am Niederrhein, die sich daher auch „Gemeinden unter dem Kreuz“ nannten, weil sie in den Unterdrückungen und Verfolgungen durch die Obrigkeit schwer zu leiden und daher ihr Kreuz zu tragen hatten, wie unser HERR es seinen Jüngern, die in seiner Nachfolge stehen, nicht anders vorausgesagt hat. Aber wenn auch die Pastoren und Prediger der evangelischen Gemeinden unter dem Kreuz ständig auf der Flucht waren und heimlich von Ort zu Ort ziehen mussten, um ihren Dienst am Wort Gottes zu tun, um Kinder zu taufen und das Sakrament des Heiligen Abendmahls auszuteilen und so die Gemeinden zu stärken, so bewerten sich doch die Presbyter am Ort als treue Stützen der Gemeinden. So waren es gerade in den Verfolgungszeiten der evangelischen „Gemeinden unter dem Kreuz“ die Presbyterien, die heimlich zusammen kamen und gemeinsam über das Wohl der Gemeinden des HERRN berieten und dafür sorgten, dass die Gemeinden geistlich und diakonisch versorgt wurden. Diesen wichtigen Dienst tun die Presbyterien in den evangelischen Gemeinden bis zum heutigen Tage durch alle geschichtlichen Wirren, die die Menschen in den vergangen Jahrhunderten zu erleiden hatten, hindurch. Kehren wir aber in das 17.Jahrhundert zurück; hier sah es für die Evangelischen in Dahlen nun sehr trübe aus: Gottesdienste unter der Leitung von zum Dienst am Wort ordinierten Dienern (=verbi divini ministri), d.h. von Pastoren im heutigen Sinne konnten nicht mehr stattfinden; die Gemeinde konnte sich lediglich versammeln und ein Gemeindeglied, meist ein Mitglied des (heimlichen) Presbyteriums las aus Gottes Wort vor und sprach ein Gebet. Schließlich wurde überhaupt die Bestätigung reformierten Glaubens im Amt Brüggen, zu dem die Stadt Dahlen ja gehörte, verboten. Man konnte danach nur noch heimlich in den Häusern zu gemeinsamem Gebeten und Lesen in der Schrift zusammenkommen, war aber von der Verkündigung des göttlichen Wortes und dem empfang der heiligen Sakrament abgeschnitten. Damit hatte aber die evangelische Gemeinde von Dahlen aufgehört zu bestehen. Sie hat dann – nach unserer Kenntnis der Aktenlage – von 1574 (erste urkundliche Erwähnung) bis 1623 (letzte öffentliche Predigt) bestanden und damit also 49 Jahre existiert, wenn wir einmal von den für uns historisch nicht fassbaren Anfangsjahrzehnten vor der ersten urkundlichen Erwähnung absehen. Gerade die Enddatierung auf das Jahr 1623 beinhaltet eine gewisse Tragik, wenn wir bedenken, das nach den Bestimmungen des Westfälischen Friedens, der den grausamen dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648) beendete, nur diejenigen evangelischen Gemeinden weiter öffentlich existieren durften, die den Nachweis dafür führen konnten, das sie im s.g. „Normaljahr“ 1624 ihre Religion öffentlich ausgeübt hatten. Das aber traf gerade für die Evangelische Gemeinde von Dahlen nicht mehr zu – um ein Jahr war das entscheidende Datum 1624 verfehlt worden. Allerdings findet sich im Rheinischen Provinzialkirchenarchiv ein Aktenverband, der zwei Aktenstücke enthält, die von dem Dahlener Reformierten Jan Alberts stammen. Im ersten berichtet er davon, dass im Jahr 1624 noch unter großer Gefahr öffentliche Versammlungen der Gemeinde stattgefunden hätten, welche die Gemeinde noch etliche Jahre danach fortgesetzt hätte. Er unterzeichnete: „Also zeuge mit meiner eygenen Hand unterschrifft, zu Dahlen den 9. 8(Octo)bris 1666.Jan Alberts.“ Das zweite Stück ist ein Brief von Jan Alberts an den damaligen evangelischen Pastor von Süchteln, Johannes Weyermann, in dem Jan Alberts dafür um Verständnis bittet, dass er als einziger überlebender Zeuge des Jahres 1624 nicht anders hat aussagen können, als er es nach bestem Vermögen getan hat. Er war vor den pfalzneuburgischen Vogt in Dahlen zitiert und sehr „scharf“ darüber verhört worden, ob 1624 in Dahlen noch evangelische Gottesdienste stattgefunden hätten. Die evangelischen sahen ihre Versammlungen als solche an oder versuchten, mit Hinweis auf diese gottesdienstlichen Versammlungen die Wiederherstellung der Dahlener evangelischen Gemeinde zu erreichen. Durch das scharfe Verhör wurde dann aber festgestellt, dass diese Versammlungen nach dem Buchstaben des Friedensvertrages nicht ausreichten, um den Fortbestand einer evangelischen Gemeinde in Dahlen rechtlich zuzulassen. Also war auch dieser Versuch zur Rettung der evangelischen Gemeinde in Dahlen vergeblich, obwohl man noch mehr als 40 Jahre um das Recht des Weiterbestehens gerungen hat. „Erst nach einem halben Jahrhundert mussten alle Hoffnungen auf eine rechtliche Wiederaufrichtung der öffentlich reformierten Religionsausübung in Dahlen begraben werden. Aber bis dahin und weit darüber hinaus standen die Dahlener reformierten Familien auch ohne den äußeren Halt an einer rechtlich fundierten Gemeinde fest und unentwegt zu ihrem Glauben. Sie ließen sich eben in benachbarten Gemeinden mit den Wort und Sakrament dienen. Vor allem hielten sie sich zur Gemeinde Wickrathberg, in deren Kirchenbüchern sie denn auch vor allem vertreten sind“, wie Heinrich Müllers zusammenfassend feststellt (aaO S.320). Nach dem riesigen Brand vom 05.Juni 1647 jedoch, der den Ort Dahlen mit Kirche und Kloster vollkommend zerstörte, verließen viele Evangelische, die durch das Feuer Haus und Hof verloren hatten, ihre Vaterstadt, um sich anderenorts niederzulassen, wo sie ihren evangelischen Glauben frei bekennen konnten wie in Rheydt, Wickrathberg oder Schwanenberg. Trotzdem blieben auch im 18. und bis ins 19.Jahrhundert hinein einzelne evangelische Familien in Dahlen ansässig, bis im Anfang des 19.Jahrhunderts das evangelische Leben in Dahlen vollständig erlosch. Mehr als siebzig Jahre lang war dann Dahlen eine rein katholische Stadt, bis Ende der 70´er Jahre des 19.Jahrhunderts in Folge der industriellen Entwicklung wieder Evangelische nach Dahlen kamen, die sich bis zum Jahr 1908 zur Evangelischen Gemeinde Wickrathberg hielten, dann aber auf eigenem Wunsch in die evangelische Gemeinde Rheydt umgepfarrt wurden, zu der sie bis zum 31.12.1969 gehörten. Am 01.01.1970 – 347 Jahre nach dem Untergang der ersten Evangelischen Gemeinde Dahlen – wurde dann die Evangelische Kirchengemeinde Mönchengladbach – Rheindahlen selbstständig. Genau wie die erste evangelische Gemeinde Dahlens ist auch sie „nach Gottes Wort reformiert“, hat also ihre theologische Grundlage im Wort Gottes und wird ebenso wie die Gemeinde des 16.Jahrhunderts von einem Presbyterium geleitet. Ihrem Bekenntnisstand nach ist sie uniert, d.h. sie vereint reformierte und lutherische Elemente in ihrem Gemeindeleben und ist daher auch für die ökumenische Begegnung mit der Katholischen Pfarrgemeinde St. Helena aufgeschlossen. Das Gemeindegebiet der Evangelischen Martin-Luther-Kirchengemeinde Mönchengladbach – Rheindahlen erstreckt sich über den Bezirk Rheindahlen Stadt und Land; zur Zeit gehören zur Gemeinde 2800 Gemeindemitglieder, die von einem Pfarrer seelsorgerlich betreut werden. Die Gemeinde hat sieben festangestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und mehr als fünfzig ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich gemeinsam darum bemühen, die vielfältigen Aufgaben im Auftrag unseres HERRN zu bewältigen. Die Martin-Luther-Kirche am Südwall, eine gelungene Synthese von Sakral- und Gemeinderäumen und damit Wortsinne das Zentrum der Gemeinde, aber als Kirche (vom griech. kyriakä = dem HERRN gehörig) eindeutig von seiner gottesdienstlichen – sakramentalen Bestimmung her qualifiziert, wurde nach 20-monatiger Bauzeit am 06.November 1983 eingeweiht und durch Superintendent Keuper und Landeskirchenrat Dr. Keiling ihrer Bestimmung übergeben. Fast zwei Jahre später, am 06.Oktober 1985 konnte dann der 24 Meter hohe

Kreuzträger mit seinen drei jeweils 5,50m hohen Kreuzen als das Wahrzeichen der Martin-Luther-Kirche eingeweiht werden. Nun fehlten nur noch die Glocken, die am 15.September 1989 bei der Firma Rincker in Hessen (gegründet 1590!) gegossen und nach ihrer Aufhängung in einem dafür errichteten Glockenturm am 25. März 1990 in einem festlichen Gottesdienst zur Freude und im Beisein auch der Vertreter der katholischen Pfarrgemeinde eingeweiht werden konnten. Seitdem erklingen jeden Samstag um 17:45Uhr in Rheindahlen die Glocken der St. Helena und die Glocken der Martin-Luther-Kirche zu einem „ökumenischen Abendläuten“ als Einladung zur Messe und zum Einläuten des Sonntags. Diese positive Entwicklung vom konfessionellen Gegensatz im 16.Jahrhundert zum ökumenischen Miteinander in der Gegenwart ist ein gutes Beispiel für die Lernfähigkeit der Menschen durch die Jahrhunderte hindurch und lässt uns für die Zukunft hoffen.

Rheindahlen Almanach ´92
 
Herausgegeben vom Bürgerverein Rheindahlen e.V.
mit freundlicher Unterstützung durch die Volksbank Rheindahlen
 
Redaktion: Michael Walter
Herstellung: WIDA Druck- und Verlags GmbH,
Erkelenz
 
Auflage: 500 Exemplare
 
Der Umschlag wurde gestaltet von Thomas Klein